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Von der Übungsmaschine in die reguläre Produktion
von Christine Reith
Jeder Mensch kann etwas für die Gesellschaft leisten: In Fulda wird dieses Credo dank des Unternehmernetzwerks Perspektiva und seiner Unterstützer besonders häufig Wirklichkeit. Wieder starteten zwei Personen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
Bevor man die Produktion von Lydall Gutsche im Industriegebiet Eisweiher betreten darf, heißt es erstmal: Sicherheitsschuhe plus Warnweste anziehen, Ohrenschutz einsetzen und bitte keinesfalls irgendwo hineinfassen. Denn dort, wo Fasern mithilfe der Nadeltechnologie in Nadelfilz für die industrielle Filtration verwandelt werden, muss die Gesundheit natürlich gut geschützt sein.
Jeder Mensch hat Talente
Für die Mitarbeitenden Ann-Kathrin Schmidt und Altay Uyar ist dieses Zutritts-Prozedere bereits Alltag: Seit Anfang dieses Jahres arbeiten sie im Unternehmen – zuerst als Praktika, seit 1. Juni 2024 festangestellt – und bereiten dort an einer speziellen Maschine Filzreste in wieder benutzbare Fasern auf. Das ist nicht nur eine ressourcenschonende Angelegenheit, sondern für die beiden auch beruflich ein Meilenstein.
„Wir gehören beide schon lange zu Perspektiva“, sagt Ann-Kathrin Schmidt. „Jetzt sind wir glücklich, in einem externen Betrieb arbeiten zu können.“ Das Unternehmernetzwerk Perspektiva unterstützt junge Menschen auf ihrem Weg in den Beruf – vor allem Jugendliche, die zu stark für eine Werkstatt für Menschen mit Behinderungen sind, und denen der Einstieg in den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht reibungslos gelingt. Die Grundannahme ist, dass jeder Mensch Talente und Stärken hat, die gefördert und ausgebildet werden können und sollten. Auch die beiden neuen Gutsche-Mitarbeitenden hatten Startschwierigkeiten durch körperliche Beeinträchtigungen und Lernschwächen, zugleich wollten sie immer regulär arbeiten und ein vollwertiges Einkommen erzielen.
Enge Verzahnung von Perspektiva und den Fuldaer Unternehmen
Dass sie jetzt sozialversicherungspflichtig bei Lydall Gutsche angestellt sind, ist zwei Faktoren zu verdanken: Die Maschine, an der sie arbeiten, stand mehr als zehn Jahre in der Textilwerkstatt von Perspektiva am Theresienhof. Dort konnten Ann-Kathrin Schmidt und Altay Uyar deren Bedienung in einem geschützten Umfeld erlernen und umsetzen. Zum anderen zeigte Lydall Gutsche sich nun – als aus wirtschaftlichen Gründen die Maschine an den Standort im Eisweiher verlegt werden musste – bereit, die Perspektiva-Teilnehmer „mitzunehmen“ und sie fest anzustellen.
„Die beiden beherrschen die Maschine sicher und leisteten an ihr jahrelang hervorragende Arbeit“, sagt Gutsche-Standortleiter Dieter Huber. „Zudem sind sie absolut zuverlässig und hilfsbereit – daher war klar, dass wir sie übernehmen, auch aus einer sozialen Verantwortung heraus.“ Seine Kollegin, die Personal-Verantwortliche Giselda Schlingmann, ergänzt: „Zuerst überlegten wir, eine der staatlichen Förderungen in Anspruch zu nehmen, um die Stellen zu ermöglichen. Das war uns dann aber offen gesprochen zu kompliziert, und so haben wir sie einfach direkt angestellt.“
Beinahe unmerklich gelingt so etwas, was sehr selten vorkommt: Der Übergang von Menschen mit Behinderungen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Bundesweit, so das Ergebnis einer Studie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, schaffen es nur 0,35 Prozent der Beschäftigten einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen in eine reguläre Anstellung. „Ohne Perspektiva und die Arbeitsschule Startbahn von antonius wären Frau Schmidt und Herr Uyar sicher auch in einer Werkstatt beschäftigt, durch unser Berufswegekonzept hat der Weg aber erst gar nicht in die Werkstatt, sondern in einen externen Betrieb geführt“, erläutert Perspektiva-Geschäftsführer Jan Martin Schwarz.
Enge Allianz zwischen Bürgerschaft und Unternehmern in Fulda
Ein bisschen ungewohnt waren die ersten Wochen in der großen Produktionshalle für Ann-Kathrin Schmidt und Altay Uyar schon. Komplexere Sicherheitsvorschriften und Arbeitsabläufe, deutlich mehr Kolleginnen und Kollegen, erhöhter Lärm und der Lieferverkehr in den Hallen verlangten „den Neuen“ mehr ab als im eher beschaulichen Perspektiva-Umfeld. Doch durch den routinierten Umgang mit der Recycling-Maschine und unterstützt von den direkten Kollegen Claudius Schynol und Bert Haase können sie hier ihre Fähigkeiten gut einbringen.
„Es sind zwei inklusive Arbeitsplätze entstanden, die exakt auf die Fertigkeiten der Menschen und die Bedürfnisse des Unternehmens zugeschnitten sind“, sagt Perspektiva-Geschäftsführer Jan Martin Schwarz. „Möglich wurde das durch die enge Allianz zwischen Bürgerschaft und Unternehmern in Fulda – das Konzept von Perfektiva ist also wieder einmal aufgegangen und darf gerne nachgeahmt werden.“
Fotos: Roman Aha