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Stiftungen als Säule der Gesellschaft

von Christine Reith

Was trägt unsere Gesellschaft? Zum europäischen Tag der Stiftungen am 1. Oktober rückt zu dieser Frage das Engagement der 25.000 Stiftungen in Deutschland in den Mittelpunkt, die sich aktiv für das Gemeinwohl einsetzen. Auch in Fulda übernehmen die verschiedensten Stiftungen Verantwortung für ihre Mitmenschen – und gleichen oft aus, was der Staat nicht leistet.  

Die 16-jährige Marie Sophie – ein lustiges, lebensfrohes Mädchen – ist gehörlos und kommuniziert mit Gebärden oder einem Sprachcomputer. Noch im Mutterleib diagnostizieren die Ärzte ihr die genetische Besonderheit Trisomie 21, umgangssprachlich Down-Syndrom genannt, die mit einer geistigen und körperlichen Behinderung einhergeht. Die Wahrscheinlichkeit, dass Marie Sophie später in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen arbeitet, ist groß. Zumindest wäre es der reguläre, staatlich für sie vorgesehene Berufsweg.

Sinnstiftende Arbeit statt monotoner Beschäftigung

Die junge Frau aus Flieden jedoch wünscht sich etwas anderes, nämlich eine Arbeit, die sie fordert, erfüllt und ihr Spaß macht. Am liebsten in einem ganz normalen Betrieb, und nicht in einer klassischen „Behinderten-Werkstatt“. „Kugelschreiber zusammenbauen oder eine andere monotone Arbeit wären überhaupt nichts für Marie Sophie und das kommuniziert sie auch sehr deutlich“, lacht Vater Manuel Poch, der seine Tochter als ausgesprochen willensstark und selbstbewusst beschreibt.

Marie Sophie besucht deshalb die Arbeitsschule „Startbahn“ bei antonius, wo sie sich aktiv auf ihr Berufsleben vorbereitet. Hier werden Stärken gestärkt und Hemmnisse – wo möglich – abgebaut. Die Schülerinnen und Schüler lernen viele verschiedene Berufe kennen und können so herausfinden, was zu ihnen passt und wo ihre Talente liegen. Aktuell hat Marie Sophie Lust auf die Bereiche Pflege oder Gastronomie. „In einem Altenheim zum Beispiel hätte sie riesige Freude, das würde gut zu ihr passen“, sagt ihr Vater. „Die Kommunikationsbarriere wird später im Beruf eine große Herausforderung, doch an der Startbahn kann unsere Tochter sich ausprobieren und bekommt eine gute Einschätzung ihrer Möglichkeiten.“

Marie Sophie hat schon mehrere Stationen bei antonius durchlaufen. Ab ihrer Geburt war sie Frühförderkind im Zitronenfalter, dem Kompetenzzentrum für Beratung, Frühförderung und Therapie von antonius. Später besuchte sie die Antonius von Padua-Schule, genau als dort die inklusive Grundstufe eingeführt wurde und damit auch Kinder ohne Behinderung aufgenommen wurden. Aktuell ist sie Schülerin im ersten Schuljahr der Arbeitsschule Startbahn.

Dass Marie Sophie so individuell und zielgenau gefördert wurde und wird, ermöglichen neben dem engagierten Elternhaus zwei Fuldaer Stiftungen. Die Bürgerstiftung „antonius : gemeinsam Mensch“ bildet den Rahmen, in dem sich seit 120 Jahren das antonius-Netzwerk für mehr Teilhabe von Menschen mit Behinderungen einsetzt. Daneben steht die Förderstiftung „St. Antonius-Stiftung“, die vor mehr als 25 Jahren von engagierten Fuldaer Bürgerinnen und Bürgern gegründet wurde, um Projekte von antonius wie die Arbeitsschule Startbahn zu realisieren. Aktuell wird mit dem Stiftungsprojekt „er:wachsen“ ein inklusives Gewächshaus in Haimbach gefördert, das Arbeitsplätze für alle Menschen – auch mit hohem Unterstützungsbedarf – schafft. 

Ein Beitrag zum Gemeinwohl
Doch was macht Stiftungen eigentlich aus? Im Gegensatz zu Unternehmen wird bei Stiftungen das Vermögen dauerhaft für einen klar definierten Zweck bereitgestellt, den die Gründerinnen und Gründer festlegen. Dieser Zweck steht im Zentrum aller Aktivitäten und bleibt unverändert. In Deutschland gibt es derzeit über 25.000 rechtsfähige Stiftungen bürgerlichen Rechts, die überwiegend gemeinnützige Ziele verfolgen. Sie engagieren sich in Bereichen wie sozialen Diensten, Bildungsangeboten, Kultur und Wissenschaft. Etwa die Hälfte der Stiftungen konzentriert sich auf soziale Projekte, die andere Hälfte fördert Bildung, Kunst und Kultur. Der Staat begrüßt diese privaten Investitionen ins Gemeinwohl, unterstützt Stiftungen steuerlich und überwacht ihre Tätigkeit.

Jeder kann zum Wirken von Stiftungen beitragen

„Stiftungen sind eine tragende Säule unserer Gesellschaft, wie der Lebensweg von Marie Sophie zeigt“, sagt Rainer Sippel, Vorstand der Bürgerstiftung antonius : gemeinsam Mensch. „Sie fördern den gesellschaftlichen Zusammenhalt und sind Ursprung vieler positiver Entwicklungen. Gerade in herausfordernden Zeiten wie den aktuellen ist das unverzichtbar. Damit dies gelingt, sind Stiftungen auf Menschen angewiesen, die sich engagieren – sei es beruflich, ehrenamtlich, durch Ratschläge oder finanzielle Unterstützung.“ Der europaweite Tag der Stiftungen, der jährlich am 1. Oktober stattfindet, soll das Bewusstsein für die Rolle von Stiftungen schärfen.

Wir alle sind Stiftung

Wie wichtig das Thema Ehrenamt für Stiftungen ist, betont Annette Licht, verantwortlich für das Ehrenamt bei antonius: „Ohne unsere ehrenamtlichen Mitarbeitenden würden die Stiftungen nicht funktionieren. Denn die Ehrenämtler übernehmen wichtige Aufgaben und bereichern mit ihren Kenntnissen und Fähigkeiten. Andersherum ermöglichen die Stiftungen ehrenamtliches Engagement und geben den Rahmen vor. Gerade bei Bürgerstiftungen wie denen von antonius kann ja jeder mitmachen und sich einbringen. Wenn jemand bei uns ehrenamtlich tätig werden möchte, schauen wir immer gemeinsam mit der interessierten Person, wo die eigenen Vorlieben liegen oder wie der zeitliche Einsatz aussehen könnte. Im Netzwerk haben wir wunderbare Geschichten, zum Beispiel von einem Autofan, der gemeinsam mit Menschen mit Lernschwierigkeiten für den Führerschein übt, oder von einem Jugendlichen, der selbst Kurse in seiner Lieblingssportart anbietet. So wird freiwilliges Engagement für alle zu einem Gewinn.“

BU: Marie Sophie (links) macht an der Arbeitsschule Startbahn zusammen mit ihrer Lehrerin Hannah Einhoff (rechts) ein Bewerbungstraining – eine gute Vorbereitung auf den Einstieg ins Berufsleben. (Foto: Steffen Waßmann)

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