(Kommentare: 0)

„So ein Tag, so wunderschön wie heute …“

Das klang fast so wie beim ersten Wiedersehen zehn Jahre nach dem Schulabgang: „Da hinten war noch ein Spielhof.“ – „Ja, und da ein Schwimmbad.“ – „Und weißte noch, wie der Albert mit dem Fußball das Fenster kaputt geschossen hat?“ – „Na, klar! Da hinten bei Goretti.“ – „Ne, das da hinten ist doch Canisius.“

Lautes Stimmengewirr, Lachen, Schulterklopfen, gute Stimmung: Als Detlef Fischer, Abteilungsleiter Wohnen bei antonius, die Gruppe der Ehemaligen durch das heutige Quartier führte, waren die Wiedersehensfreude und die Erinnerung an die Zeit bei antonius groß und lebendig. Etwa 70 frühere und aktuelle Bewohner von antonius wurden eingeladen, immerhin knapp 50 folgten der Einladung. Sie eint entweder, dass sie in den Jahren 1969 bis 1980 bei antonius lebten oder die Schwestern Urbana, Virgo, Goretti und Placida noch persönlich kannten.  So wie Klaus Stussak. Er hat das Treffen initiiert. Den Anstoß lieferten die Begegnungen, wenn eine der Schwestern oder andere Weggefährten zu Grabe getragen werden mussten. „Wir kommen ja nur noch bei traurigen Anlässen zusammen, hat Pater Thomas gesagt. Da habe ich mir gedacht, das können wir ändern“, sagt Klaus Stussak und lacht. Immerhin ein Jahr hat es gebraucht, von der Idee bis zur Verwirklichung. Die Premiere war so gut, dass es künftig regelmäßig ein Wiedersehen geben soll.

Der heute 62-Jährige kam mit zehn Jahren aus Maintal-Dörnigheim zu antonius nach Fulda und blieb sieben Jahre bis 1977. In jenem Jahr erwarb er seinen Sonderschulabschluss und ging hinaus ins Leben. Beim Gespräch auf der Bleiche zeigt er mit dem Finger auf seine damalige WG. Aloisius befand sich im Obergeschoss im Hauptgebäude. Ostflügel. Im Erdgeschoss die Schule, im Keller die Werkstatt. „Wir haben viel mit Ton gearbeitet“, erinnert sich Klaus Stussak. Wenn er an seine WG zurückdenkt, dann sieht er sofort den „wahnsinnig langen Flur“ vor sich, der alle zwei Tage gebohnert werden musste. In seiner Gruppe gab es nur Jungs. Zwei Dutzend etwa.

Die ersten zwei Jahre bei antonius waren schlimm für ihn. Er durfte seine Familie, seine Mutter in dieser Zeit nicht sehen. Damit er sich an die neue Umgebung gewöhnen kann, wie das Jugendamt befand. So richtig gelang ihm das erst einmal nicht. Immerhin bemühte sich Schwester Maria Urbana nach Herzenskräften, ihm ein schönes Zuhause zu geben. Und dass dauernd was los war, das half ihm. „Beschäftigung lenkt ab“, weiß Klaus Stussak. Etwas mehr blühte der Junge auf, als neue Betreuer mit neuen Ansätzen zu antonius kamen. Die auch mal Ausflüge organisierten. Zum Beispiel Bootsfahrten auf der Fulda oder sogar Ferienreisen. Versmold, eine Kleinstadt in NRW, war ein Ziel, das Klaus Stussak offenbar in guter Erinnerung geblieben ist. Mit der Zeit fand er sich immer besser in seinem neuen Leben zurecht – und erfuhr dafür Wertschätzung: „Irgendwann hatte ich dann die Aufgabe, mit den Kleineren spazieren zu gehen. Das hat mich stolz gemacht“, sagt Klaus Stussak und strahlt. Dass seine Brüder ebenfalls – zumindest zeitweise – bei antonius waren, das erleichterte ihm ebenfalls manches. „Die Stussäks“ hieß es immer, wenn die Brüder gemeinsam unterwegs waren.

Nach seiner Zeit in Fulda lernte er bei den Salesianern in Sinntal-Sannerz einen Beruf im Bereich Metall und Holz und erwarb seinen Hauptschulabschluss – als Zweitbester seiner Klasse. Sein Berufsleben weist bis heute viele Stationen auf: bei „Mister Minit“ lernte er Schuhmacher, er arbeitete im Schornsteinbau, war sogar selbständig, was aber nicht gut ausging. Er fuhr acht Jahre im Paketdienst und für die Post große Lkw, bis er noch einmal zum IT-Techniker umschulte. Mittlerweile ist der Vater von drei Kindern als Tiefbauer in Niederkalbach tätig.

Das Wiedersehen der Ehemaligen begann bereits am Morgen mit einem Gottesdienst mit Pater Thomas in der Kapelle, bei dem auch Lieder aus alten Heften gesungen wurden. Bereits so früh am Tag wurden Erinnerungen ausgebreitet. Was schwierig war bei antonius, was gut war. Darum drehten sich die Erzählungen. Die Gäste reflektierten auch, wie sie eine Entwicklung hin zu mehr Selbständigkeit erlebt haben, weil sie von den Schwestern gefordert wurden; bei der Arbeit oder wenn sie sich um Mitbewohner zu kümmern hatten. Sie seien damals „nicht in Watte gepackt worden“, das sei nicht schlecht gewesen, sondern auf lange Sicht sehr hilfreich für ihre persönliche Entwicklung, sagten einige. Die Prägung, die sie in ihrer Zeit bei antonius erfahren haben, die drückte sich auch im Gesang aus: „Als die 60 Gottesdienstbesucher die Lieder anstimmten, das klang wie ein Chor aus 600“, schilderte Pater Thomas beeindruckt.

In der Festscheune begrüßten Klaus Stussak, Rainer Sippel und Sebastian Bönisch bei einem Glas Sekt die Gäste. Natürlich stand den ganzen Tag über immer wieder der Austausch von gemeinsamen Erinnerungen im Mittelpunkt. Dies erleichterte eine Diashow mit zahlreichen Fotos von früher. Nach der Führung über das Gelände und einem gemeinsamen Kaffeetrinken beschloss ein Oktoberfest für die ganze antonius Gemeinschaft den geselligen Tag. Nicht nur einmal erklang das Lied: „So ein Tag, so wunderschön wie heute …“ Gut möglich, dass es bald wieder einen „wunderschönen Tag“ gibt, denn die Ehemaligen hatten die wunderbare Idee, aus Dankbarkeit antonius eine mannshohe Eiche zu schenken, die im Quartier einen schönen Platz erhalten soll. Beim Einpflanzen werden sicher wieder viele Ehemalige mit dabei sein wollen.

Foto: Ralph Leupolt

Zurück