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„Ich will so wohnen, wie jeder andere auch“

Von Christine Reith 

Ob in einer Wohngemeinschaft, alleine oder noch bei den Eltern: Jeder Mensch darf selbst entscheiden, wie und wo er leben möchte. Das fordern auch die UN-Behindertenrechtskonvention und das Bundesteilhabegesetz. Für Menschen mit Behinderung ist die Suche nach einer eigenen Wohnung allerdings oft eine Herausforderung. Auch in Fulda fehlt passender Wohnraum und die Konkurrenz – etwa zu Studierenden – ist groß. Das erleben immer wieder auch die Menschen mit Behinderungen, die von antonius unterstützt werden.

Fast ein Jahr lang hat Marcel Pani intensiv nach einer neuen Wohnung gesucht. Der 33-Jährige mit kognitiven Einschränkungen arbeitet in der antonius Bäckerei und legt viel Wert auf seine Selbstständigkeit. Er möchte frei entscheiden, wie er seine Freizeit verbringt, was es zu essen gibt oder wen er zu Besuch hat. Deswegen – und aus tausend anderen Gründen – möchte der junge Mann in einer eigenen Wohnung leben. Am liebsten auch ganz eigenständig außerhalb des antonius-Netzwerkes.

Doch Marcel Panis Versuch, eine Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt zu finden, ist vorerst gescheitert. Gerne wäre er aus seiner Wohnung im Haus „Don Bosco“ in der Fuldaer Innenstadt mit antonius als Vermieter ausgezogen. Die Unterstützung von antonius über das Betreute Wohnen hätte er gerne weiter in Anspruch genommen. Im Haus „Don Bosco“ hat er sieben Jahre in einer Dachgeschosswohnung gelebt, die ihm im Sommer zu heiß war und für die er gerne eine Alternative auf dem freien Wohnungsmarkt gefunden hätte. Trotz monatelanger Suche hat er im Raum Fulda keine Mietwohnung gefunden, die in Frage käme und zugleich auch den Vorgaben der Behörden entspräche. Denn bei Grundsicherungsempfängern sind Kosten und Wohnungsgröße auf 300 Euro Kaltmiete und 50 Quadratmeter gedeckelt. Auch Innenstadtnähe, ÖPNV-Anschluss und Einkaufsmöglichkeiten waren wichtige Kriterien für die Wohnungssuche.

Günstigen, stadtnahen Wohnraum – das wollen viele

„Mit diesen Anforderungen haben Menschen wie Marcel Pani auf dem Fuldaer Wohnungsmarkt so gut wie keine Chance“, sagt Rainer Sippel, geschäftsführender Vorsitzender des Stiftungsrates der Bürgerstiftung antonius : gemeinsam Mensch. „Vor allem, weil sie mit Studierenden konkurrieren, deren Zahl in den vergangenen Jahren enorm angestiegen ist. Wir betrachten diese Entwicklung mit großer Sorge – auch weil die Mieten in Fulda relativ hoch sind, die bezuschussten Sozialmieten aber nicht entsprechend erhöht werden. Außerdem sind die Anforderungen für öffentliche Zuschüsse für den sozialen Wohnungsbau stark an die Bedürfnisse von Menschen mit körperlichen Behinderungen ausgerichtet, zum Beispiel in Bezug auf Barrierefreiheit. Für unsere Zielgruppe der Menschen mit geistigen Behinderungen ist das aber nicht immer relevant." 

Zu wenig Wohnalternativen für Menschen mit Behinderungen

Als Stiftung hat antonius bereits vielfältige Projekte zum inklusiven Wohnen und Arbeiten in Stadt und Landkreis Fulda initiiert und als Investor begleitet – zum Beispiel in den Gemeinden Poppenhausen, Eichenzell und Neuhof oder im solidarischen Gartenhaus in der St.-Vinzenz-Straße. Mit Dutzenden eigenen Objekten und innovativen Wohnprojekten verfolgt antonius behutsam das Ziel, Wohnformen dezentral und über Fulda hinaus in Dorfgemeinden zu organisieren und an die individuellen Bedürfnisse der Menschen anzupassen.

Doch bei der Suche nach „ganz normalen“ Mietwohnungen hakt es gewaltig: „Auf dem allgemeinen Fuldaer Wohnungsmarkt gibt es im mittleren und unteren Preissegment so gut wie keine Mietobjekte, die den Anforderungen entsprechen“, sagt auch Elena Sorg, Sachbearbeiterin für Immobilien bei antonius. „Dabei helfen wir, wo es geht: antonius agiert zum Beispiel selbst als Mieter und gibt Vermietern dadurch große Sicherheiten. Trotzdem finden sich so gut wie keine günstigen, kleinen und gut erreichbaren Wohnungen. Wir führen mittlerweile eine lange Warteliste für Menschen, die von ihrem Elternhaus, aus einer Wohngemeinschaft oder aus unserem Kinderhaus heraus in eine eigene Wohnung ziehen möchten. Es ist sehr bedauerlich, diese Selbstständigkeitsbestrebungen immer wieder bremsen zu müssen. Schließlich ist es unser Auftrag als Stiftung, die Menschen zu mehr Eigenständigkeit zu befähigen, zu ermutigen und sie auf diesem Weg zu begleiten.“

Sozial engagierte Vermieter gesucht

Gesucht sind also Vermieter*innen von kleineren Apartments oder Einliegerwohnungen im Raum Fulda, die auf einen Teil ihrer Mieteinnahmen verzichten würden, damit die Grundsicherung greift. „Man könnte diese Differenz zwischen Kostenmiete und Sozialmiete als Spende betrachten, als soziales Engagement“, meint Rainer Sippel. „Wir sind hierzu auch immer wieder im Gespräch mit Unternehmen oder Wohnungsgenossenschaften, die Wohnungen mitfinanzieren oder für antonius reservieren könnten. Aber die Mühlen mahlen einfach zu langsam, um dem Bedarf gerecht zu werden.“

Der antonius-Mitarbeiter Marcel Pani ist schlussendlich im Haus „Don Bosco“ wohnen geblieben. Zum Glück ist ein Apartment im Erdgeschoss freigeworden, so dass er aus dem Dachgeschoss dorthin umziehen konnte. Im Betreuten Wohnen sorgen die Personen eigenständig für sich und erhalten nur bei Bedarf Assistenz und Hilfestellung. „Ich regle hier alles selbst und bin mein eigener Herr, das läuft alles super“, sagt Marcel Pani. „Trotzdem hätte ich mir gewünscht, irgendwo anders eine Wohnung zu finden. Ich will einfach so wohnen, wie jeder andere auch!“ Was es braucht, damit Menschen wie Marcel Pani leichter ein eigenes Zuhause finden, kann Elena Sorg rasch an einer Hand abzählen: „Mehr bezahlbaren Wohnraum durch private Vermieter, mehr staatlich geförderte Sozialwohnungen, mehr finanzielle Unterstützung, eine bedarfsgerechtere Barrierefreiheit und ein Gemeinwesen, das Menschen mit Behinderung in ihrer Mitte willkommen heißt.“ Dazu braucht es Unterstützer und Brückenbauer auf vielen politischen und gesellschaftlichen Ebenen – denn der Markt allein wird das Problem nicht regeln.

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