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Für bessere Inklusion und Teilhabe
von Alexander Gies
Fulda – Gesundheit ist gerade für Menschen mit einer geistigen Behinderung eine wichtige Voraussetzung für gelingende Inklusion und Teilhabe. Deshalb hat sich die Bürgerstiftung antonius um die Genehmigung für ein Medizinisches Zentrum für Erwachsene mit Behinderung (MZEB) bemüht, das sich in besonderer Weise um die Bedürfnisse dieser Patientengruppe kümmern kann. Am Samstag, 12. Oktober, wurde die Einrichtung, die erst dritte ihrer Art in Hessen, im Beisein zahlreicher Gäste eingeweiht.
In einem interdisziplinären Team wird dort nun auch Erwachsenen ab 18 Jahren mit geistiger oder schwerer Mehrfachbehinderung eine medizinische Versorgung, Diagnostik und Therapie geboten. Eingebunden sind Ärzte, Therapeuten, Pädagogen und Pflegekräfte. „Das MZEB Fulda versteht sich nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung zur Regelversorgung und unterstützt die behandelnden Haus- und Fachärzte“, betonte die Leiterin der Einrichtung, Dr. Annette Schweickert, bei der Einweihung. Sie ist Internistin, Pneumologin, Notärztin sowie Palliativ- und Intensivmedizinerin und war zuvor unter anderem am Klinikum Fulda tätig. Eingebettet ist das Angebot des Zentrums, das nicht nur den Menschen von antonius, sondern allen Menschen mit geistigen Behinderungen im Raum Fulda zur Verfügung steht, in den Zitronenfalter, das Zentrum für Beratung, Frühförderung und Therapie von antonius. Schon im Stiftungsauftrag des Netzwerks ist die Rede davon, Stärken und Potentiale aller Menschen zu heben, um Lebensperspektiven entwickeln zu können. Voraussetzung dafür ist eine umfassende und passgenaue Gesundheitsversorgung. Denn nur wer gesund ist, der findet auch die Kraft, sich um die anderen Bereiche seines Lebens wie Arbeit, Freizeit oder seine sozialen Kontakte zu kümmern.
Im Jahr 2015 hatte der Bundestag die Grundlage für derartige medizinische Behandlungszentren gelegt. Das MZEB bei antonius im Landkreis Fulda ist erst das 50. in den insgesamt 421 Landkreisen in Deutschland. Wie Dr. Schweickert zur Eröffnung ausführte, sind Menschen mit Mehrfachbehinderungen besonderen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt. Je schwerer die Art und Komplexität der Behinderungen, desto herausfordernder gestalte sich beispielsweise die Diagnose. Diese erfordere nicht nur viel Zeit, sondern auch ein besonderes Verständnis für diese Menschen. Darüberhinaus sei oft nicht nur ein Krankheitsbild zu beobachten, sondern eine Vielzahl davon. Häufig geselle sich zu einer geistigen Beeinträchtigung noch eine psychische Störung. Deshalb sei es gut und wichtig, dass sich im MZEB ein multiprofessionelles Team mit ausreichend Zeit und Zuwendung um die Verbesserung der ganzheitlichen Lebensqualität kümmern könne. Der Anspruch an Gesundheit umfasst für antonius mehr als die Abwesenheit von Krankheit, sondern erstreckt sich auch auf die psychische und soziale Gesundheit. So trägt die soziale Eingebundenheit, so wie sie antonius pflegt, als wichtiger Faktor nicht nur zur Gesundheit und Lebensqualität bei, sondern ist ein wesentlicher Bestandteil von „gemeinsam Mensch“.
Dr. Annette Schweickert sagte, sie habe sich vor etwa einem Jahr für einen neuen beruflichen Weg entschieden, weil sie gleichzeitig etwas Sinnvolles und „gute Medizin“ machen wolle. Medizin, die sich mit der besonderen Situation von Menschen mit Behinderungen befasse, friste in Deutschland noch ein Nischendasein. Das werde unter anderem daran deutlich, dass es erst seit einem Jahr überhaupt einen Lehrstuhl für inklusive Medizin gebe, sagte die Medizinerin. Dabei bestehe Handlungsbedarf: Denn Menschen würden nicht erst seit Corona unter zunehmender Einsamkeit leiden, sondern Menschen mit Beeinträchtigungen lebten auch immer länger, was zu einem erhöhten Bedarf an ärztlicher Expertise führe.
Der Erste Kreisbeigeordnete Frederik Schmitt (CDU) sagte, er verbinde besonders zwei Begriffe mit antonius: Tradition und Innovation. Das MZEB stehe insofern für einen der „extrem vielen innovativen Schritte“, für die antonius bekannt sei. Das sei nicht nur ein Gewinn für die Menschen dort, sondern bedeute auch für viele weitere Osthessen künftig kürzere Wege hin zur ärztlichen Versorgung. Dass bei diesem Projekt so viele Partner Hand in Hand arbeiteten, wertete der Vize-Landrat als einen Beleg für das eng geknüpfte Netzwerk von antonius in die gesamte Gesellschaft des Landkreises.
Der Fuldaer Bundestagsabgeordnete Michael Brand (CDU) sagte, mit dem MZEB ziehe der Zitronenfalter, dessen Entwicklung er schon viele Jahre begleite, „neue, weitere Kreise“. Die Einrichtung sei kein Ersatz, sondern eine Ergänzung der Regelversorgung in Osthessen. Die Arbeit, die hier geleistet werde, würdigte Brand als eine Voraussetzung dafür, dass Inklusion und Teilhabe überhaupt gelingen könnten. Das MZEB steht für ihn für „Hilfe aus einer Hand an einem Ort“.
Prof. Dr. Gabriele Köhler, Ärztliche Direktorin des Klinikums Fulda, überbrachte die Grüße des Sprechers des Vorstands des Klinikums, Dr. Thomas Menzel, sowie von Prof Dr. Reinald Repp, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin. Sie betonte die lang andauernde Verbindung zwischen antonius und dem Klinikum im Bereich von Diagnostik und Therapie. Vom MZEB, das sie als einen weiteren Mosaikstein auf dem Weg zu einer guten Versorgung bezeichnete – insbesondere durch den Übergang aus dem im Klinikum noch sehr frisch tätigem sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ) –, erwartet sie, dass es hier leichter als in der Regelversorgung falle, Menschen mit Behinderungen die nötige Zeit zu widmen.
Das neu eröffnete Zentrum befindet sich barrierefrei zugänglich neben der Apotheke im Haus des Zitronenfalters am Eingang zum antonius-Quartier in der Haimbacher Straße. Dessen Leiterin Victoria Diener sagte, mit dem MZEB entfalte der gelbe Schmetterling quasi seine Flügel. Detlef Fischer, bei antonius unter anderem für Wohnangebote für Erwachsene zuständig, sagte, erste Erfahrungen zeigten, dass das MZEB in der Lage sei, besondere Einschränkungen bei Menschen mit Behinderungen aufzulösen und somit Lebensperspektiven möglich zu machen. Eltern eines Bewohners hätten sich ihm gegenüber sehr dankbar geäußert, dass es dieses Angebot nun gebe.
Die Gäste der Eröffnungsfeier hatte Sebastian Bönisch, Mitglied im Führungsteam von antonius, begrüßt und betont, mit dem MZEB gehe es darum, Potentiale zu entfalten und das Anliegen der Frühförderstelle Zitronenfalter in das Erwachsenenalter zu übertragen. Rainer Sippel, Vorstand von antonius, hatte in seiner Begrüßung darauf hingewiesen, dass das „top besetzte“ MZEB dazu beitragen könne, gute Lebensperspektiven zu entwickeln. Gesundheit, so wie antonius sie versteht, bedeute mehr als die Abwesenheit von Krankheit, sondern widme sich auch der psychischen Situation und der sozialen Eingebundenheit. Seinen Dank richtete er an die Partner aus Politik und Medizin sowie aus bereits bestehenden MZEBs, die „wie eine Hebamme“ die Geburt dieser Einrichtung erst möglich gemacht hätten.
Pater Thomas, Seelsorger bei antonius, spendete den Menschen, die im MZEB künftig arbeiten, und den Festgästen den kirchlichen Segen. „Segensreich“ sei auch die Arbeit, die hier geleistet werde, so der Franziskaner. Hier gehe es darum, zuzuhören, zu verstehen und sich die notwendige Zeit für die Menschen zu nehmen.
Bildunterschrift: Freuen sich über die Einweihung des MZEB (von links): Vorstand Rainer Sippel, Dr. Annette Schweickert (Leitung MZEB), Erster Kreisbeigeordneter Frederik Schmitt, Bundestagsabgeordneter Michael Brand, Sebastian Bönisch (Mitglied im Führungsteam von antonius), Elvira Storch (vorne, Mitglied im Behindertenbeirat der Stadt Fulda), Prof. Dr. Gabriele Köhler (Ärztliche Direktorin am Klinikum Fulda), Vorstandsmitglied Judith Osterbrink und Victoria Diener (Leitung Zitronenfalter).
Foto: Ralph Leupolt für antonius.